Sonntag, 25. Juli 2010

Twitter und die Loveparade

Florian Meyer, ein begeisterter Blogger und Twitterer, hat zu diesem Thema schon einen interessanten Beitrag auf Scherzinfarkt geschrieben. Die Diskussionsbeiträge zu diesem Artikel sind eigentlich genauso interessant und zeigen verschiedenste Positionen zur Nutzung von Twitter. Grundsätzlich stimme ich Florian in seiner Position zu, kann aber auch Wahrheit in den Kommentaren finden.

Die sich stellende Grundfrage ist doch, ob Twitter (schon) ein geeignetes Tool zum Kommunikationsmanagement bei Katastrophen ist. Während der Ölpestkatastrophe im Golf von Mexiko wurde Twitter wohl zum ersten Mal aktiv für Krisenmanagement genutzt. Akkumuliert im Webauftritt des Deepwater Horizon Command Center liefen die Drähte aus verschiedenen Kommunikationskanälen, so auch die typischen Social Media Kanäle wie Twitter und Facebook, zusammen. Man wollte so ein umfassendes Bild der Lage generieren, Transparenz suggerieren (leider war es wohl nur das) und in Echtzeit reagieren können. An sich keine schlechte Idee.

Allerdings liegt der Fall bei der Loveparade erheblich anders. Das fängt schon beim zeitlichen Horizont des Ereignisses an und geht bei der Psychologie weiter. Während die Ölpest ein vergleichsweise langfristiger Prozess war, bei dem sich vernetzte Kommunikation über einen gewissen Zeitraum entfalten kann, ist die Massenpanik bei der Loveparade ein eher spontaner Prozess. Sinnvolle Kommunikation über digitale Medien hatte also kaum eine Gelegenheit sich zu entwickeln. Die vermehrt auftauchenden Zeugenaussagen, dass Teilnehmer auf die Gefahr einer Massenpanik hinwiesen, deuten aber in dieser Hinsicht ein gewisses Potential an. Zielgerichtetes Monitoring von Event bezogenen Tweets könnte tatsächlich die frühe Indikation von Problemen erlauben. Dazu sind allerdings mehrere Voraussetzungen zu erfüllen:
1. Eine erheblich weiter verbreitete mobile Nutzung von Twitter
2. Die Verwendung relevanter Hashtags zur Themenindikation
3. Bewusstsein der Sicherheitsverantwortlichen für diesen Kommunikationskanal
4. Technische Faktoren wie Netzverfügbarkeit und -Stabilität

Wahrscheinlich wird es noch eine Weile dauern, bis diese Kriterien tatsächlich erfüllt werden können. Es ist aber ein interessanter Ausblick auf die Möglichkeiten des Krisenmanagements mit Twitter. Die Filterung relevanter Tweets über hastags oder Schlüsselwörter ist nicht weiter schwierig. Ein gutes Beispiel für die sinnvolle Nutzung im Zusammenhang der Loveparade ist die Sammlung der Vermissten-Tweets auf einer zentralen Webseite (momentan scheint die Seite gesperrt) ebenso wie die Verbreitung der Vermisstenmeldenummer über Tweets. Es ist durchaus auch möglich Twitterdaten offline verfügbar zu machen. Möglichkeiten sind zum Beispiel Visualisierungen über Displays im Eventbereich oder eine Art Pagerfunktion für Hilfs- und Sicherheitskräfte

Ein weiteres Problem ist tatsächlich die Pietät. Da Twitter als offenes Kommunikationssystem angelegt ist, kann sich natürlich jeder in die Kommunikation einmischen. Die spontane Natur von Tweets in der mobilen Nutzung führt des Öfteren zu unbedachten Tweets, die sich im Ton und Inhalt mitunter disqualifizieren. Da liegt eines der Probleme, die man mit Twitter im Katastrophenmanagement haben wird: Twitter ist primär ein Unterhaltungsmedium, das keine sozialen Konventionen explizit fordert. So sind auch bei der Loveparade Tweets erschienen, die teilweise mehr als nur pietätlos waren. Das ist in den klassichen Medien aber auch kein unbekanntes Phänomen und auch Element der partizipativen Kommunikationskultur einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Man könnte über die Skandalwirkung und die daraus folgende Bewusstseinssteigerung sogar einen gewissen Grundnutzen darin sehen.


Zusammenfassend will ich sagen, dass Twitter bei der Loveparadekatastrophe ein gewisses Potential gezeigt hat, welches aber aus verschiedenen Gründen noch nicht genutzt werden konnte. Gründe sind unter anderem mangelndes Bewusstsein für das Medium und (noch) fehlende Konventionen (ich meine hier organische, die aus sozialen Mechanismen entstehen). Twitter kann auch allein nicht DAS Mittel zur Kommunikation sein, aber es könnte durchaus unterstützend wirken und ein schneller Multiplikator für Meldungen sein.

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